Polymere reagieren temperaturabhängig auf Magnetfelder

2021/03/01 von

In der Arbeitsgruppe von Prof. Christina M. Thiele am Fachbereich Chemie der Technischen Universität Darmstadt wurde ein unerwartetes temperatur- und magnetfeld-abhängiges Verhalten von helikalen Copolymeren in flüssigkristallinen Lösungen erstmals beobachtet und eindeutig nachgewiesen. Bei unterschiedlichen Temperaturen werden eine Helixinversion (molekulare Eigenschaft) und eine Reorientierung der Helices bezüglich eines externen Magnetfeldes (Ensemble-Eigenschaft) beobachtet. Letzteres kann auch als makroskopische Bewegung ausgelöst durch eine Temperaturänderung aufgefasst werden. Die Ergebnisse der Untersuchungen wurden kürzlich in der Zeitschrift Macromolecules (DOI: 10.1021/acs.macromol.0c02688) veröffentlicht.

Helikale Polymere sind stäbchenförmig und können deshalb in Lösung als Flüssigkristall vorliegen. Flüssigkristalle besitzen trotz ihrer Mobilität, die einer Flüssigkeit gleicht, eine Fernordnung der Moleküle, wie sie ähnlich in Kristallen zu beobachten ist. Diese Eigenschaften machen Flüssigkristalle so vielseitig einsetzbar: Für Flüssigkristallbildschirme werden ihre optischen Eigenschaften zum Schalten der Pixel genutzt. In der Biomedizin können Flüssigkristalle als Transportmedien für Medikamente und RNA (drug and RNA delivery) oder als Gerüst für die künstliche Gewebezüchtung (tissue engineering) verwendet werden. Auch in der Nanotechnologie sind vielfache Anwendungen denkbar. Nicht zuletzt werden Flüssigkristalle in unserer Arbeitsgruppe als Orientierungsmedien eingesetzt, um mit ihnen andere, darin gelöste Moleküle auszurichten.

Lange Zeit galt die Annahme, dass sich helikale Polypeptide im Flüssigkristall immer parallel zu einem externen Magnetfeld ausrichten müssen. Bei der Untersuchung eines Copolypeptids basierend auf Estern der Asparaginsäure wurde nun genau diese Annahme in Frage gestellt: Für das Copolypeptid war eine temperaturabhängige Helixinversion in Lösung bekannt. Bei genaueren Untersuchungen wurde jedoch auch eine weitere Änderung der Copolypeptid-Lösung beobachtet für die es zunächst keine Erklärung gab. Um die Ursache der unerwarteten zweiten Änderung aufzuklären wurden in der Arbeitsgruppe Prof. Thiele Copolypeptide unterschiedlicher Zusammensetzung mit spezifischen Deuterium-Labels synthetisiert und mittels NMR-Spektroskopie untersucht. Hierbei zeigte sich ein Einfluss der Copolypeptid-Zusammensetzung auf die Temperaturen sowohl der Helixinversion und als auch der zweiten Änderung. Durch Vergleich der gemessenen Daten mit theoretisch zu erwarteten Daten konnte die Helixinversion eindeutig zugeordnet und als Wechsel der Sekundärstruktur des Copolypeptids zwischen αR- und αL-Helix klassifiziert werden. Die unbekannte zweite Änderung entpuppte sich als simultane Rotation aller Copolypeptid-Helices um 90° bei gleichbleibender Sekundärstruktur.

Obwohl die Helixinversion solcher Copolypeptide bereits seit über 10 Jahren bekannt ist und auch Effekte der Reorientierung zumindest indirekt beobachtet wurden, wurde eine Reorientierung als zweiter Prozess nie in Betracht gezogen. Stattdessen führte die Unwissenheit über die Reorientierung in der Vergangenheit zu Missinterpretationen von Messdaten. Wer wissen möchte warum die getrennte Untersuchung beider Prozesse so schwierig ist und was das mit der selektiven Deuterierung der Amid-Protonen zu tun hat, der sei auf die Veröffentlichung verwiesen: Copolyaspartates: Uncovering Simultaneous Thermo and Magnetoresponsiveness, M. Hirschmann, D. S. Schirra und C. M. Thiele, Macromolecules 2021, DOI: 10.1021/acs.macromol.0c02688.

Stäbchen- und spirlaförmige Polymere ändern mit steigender Temperatur (T) zunächst ihre Orientierung bezüglich eines externen Magnetfeldes (B) und bei weiterer Temperaturerhöhung ihren helikalen Drehsinn.
Stäbchen- und spirlaförmige Polymere ändern mit steigender Temperatur (T) zunächst ihre Orientierung bezüglich eines externen Magnetfeldes (B) und bei weiterer Temperaturerhöhung ihren helikalen Drehsinn.